N. Furrer: Schriftkunde und Textedition

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Titel
Schriftkunde und Textedition. Schriftkunde und Textedition


Autor(en)
Furrer, Norbert
Erschienen
Zürich 2016: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Martig Peter

Mehrere Generationen von Studierenden sowie unzählige Orts- und Familienforschende haben mit Hans Schmockers Schulpraxis-Heft Alte Schriften lesen ihre ersten Schritte hin zum Verständnis historischer Quellen gemacht. Seinen Schülerinnen und Schülern pflegte Hans Schmocker jeweils mit auf den Weg zu geben: «Das Prinzip kann ich in zwei Stunden erklären. Nachher müsst ihr dreissig Jahre üben – dann könnt ihr es!»

Norbert Furrer legt nun einen Schriftkunde-Band vor, der sich weniger an ein breites Laienpublikum richtet, sondern gehobenen Ansprüchen genügen will. Sein über 200 Seiten starker Band stellt keine Schnellhilfe zum Lesen alter Schriften dar. Vielmehr legt uns der Autor einen knapp gefassten schriftlichen Paläografie-Kurs vor, der neben den Hinweisen zur Schriftkunde auch hilfreiche Informationen aus anderen historischen Hilfswissenschaften enthält. Norbert Furrers Absicht ist es deshalb nicht nur, ältere Texte von der deutschen Kurrentschrift in die lateinische Schrift zu übertragen. Er möchte seiner Leserschaft zusätzlich die Fähigkeit vermitteln, die Texte mit Erklärungen zur Sprache und zum Inhalt sinnvoll mit Anmerkungen zu versehen.

Der Hauptteil des Buches besteht aus drei Blöcken, die mit Präliminarien, Manuskripte und Transkriptionen sowie Materialien überschrieben sind. Im Kapitel Präliminarien präsentiert der Autor eine Übersicht über verschiedene Musteralphabete, Abkürzungen, Masse und Gewichte, Tabellen der Zeitrechnung, Titulaturen, dazu eine Auswahl deutscher Bezeichnungen von Ortschaften im Waadtland. Das Kapitel enthält somit wesentlich mehr, als die gewöhnungsbedürftige Überschrift Präliminarien dies verspricht. Zahlreiche für Texteditionen unentbehrliche Hinweise aus schriftkundlichen Publikationen werden hier auf knappem Raum zusammengefasst. Die am Schluss des Kapitels angefügten Transkriptionsprinzipien sind als Mustervorlage ebenfalls hilfreich. Wissenschaftlich orientierte Benützerinnen und Benützer tun jedoch gut daran, sich frühzeitig über allfällig vorhandene eigene Transkriptionsregeln von Verlagen und Zeitschriften zu informieren.

Im Kapitel Manuskripte und Transkriptionen präsentiert Norbert Furrer sechzehn meist aus dem Berner Staatsarchiv oder der Burgerbibliothek stammende Quellentexte. Wer die Tücken der Quellenauswahl für paläografische Lehrveranstaltungen selber erfahren hat, kennt auch den Spagat zwischen aussagekräftigen Dokumenten und für den Unterricht geeigneten Schrifttypen. In Furrers Auswahl bildet das Finanz- und Rechnungswesen einen Schwerpunkt. Wesentlich stärker berühren naturgemäss die Dokumente mit sozialgeschichtlichem Hintergrund. Der Spiessrutenlauf des Simeon Roder (S. 80) oder die obrigkeitlich angeordnete Festnahme der mutmasslichen Kindermörderin Barbara Bigler (S. 92) geben Einblick in ein Rechtssystem, das Behinderung und Armut allzu oft mit Kriminalität gleichsetzte. Dem reproduzierten Originaltext wird – nach bewährtem Muster – die Transkription mit quellenkritischen Anmerkungen sowie Erläuterungen zum Kontext gegenübergestellt. Die Texte sind chronologisch geordnet und umfassen den gesamten von Furrer als zentrale Jahrhunderte der Frühen Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert) definierten Zeitraum. Zahlreiche wichtige und interessante Hinweise zu den abgedruckten Quellen finden sich in den Anmerkungen. In einem Lehrbuch wie dem vorliegenden Schriftkunde-Band ist eine exemplarisch breite Verwendung von Anmerkungen sicher erlaubt, vielleicht sogar notwendig. In wissenschaftlichen Publikationen ist es hingegen von Vorteil, wenn wichtige Fakten und Aussagen im Haupttext den ihnen gebührenden Platz einnehmen dürfen.

Das dritte, mit Materialien überschriebene Kapitel bietet eine Fülle von Tabellen und Erklärungen zur Münzgeschichte sowie zur Ortsnamenforschung. Besonders hilfreich sind hier die detaillierten Angaben zu den Märkten. Der Abschnitt «Hierarchien» enthält grundsätzliche Angaben über bernische Landvogteien und Pfarreien. Die aus zahlreichen, oft schwer zugänglichen Publikationen zusammengetragenen Informationen sind übersichtlich – meist tabellarisch – geordnet und erleichtern den Forschenden die Identifikation und Einordnung von Orten, Verwaltungseinheiten, Amtsträgern etc. in hohem Masse.

Norbert Furrers Schriftkunde ist weit mehr als eine Anleitung zum Lesen alter Schriften. Vielmehr bietet sie einen konzentrierten Überblick über die für den Umgang mit Quellen relevanten historischen Hilfswissenschaften. Für den wissenschaftlichen Gebrauch schliesst Furrers Publikation damit eine Lücke. Als nützliches Nachschlagewerk wird sie auf dem Büchergestell neben Durheim, Grotefend etc. ihren festen Platz einnehmen. Die grosse Zahl der privaten Orts- und Familienforschenden wird sich hingegen wohl auch in Zukunft mit dem altbewährten «Schmocker-Heftli» zufrieden geben.

Zitierweise:
Peter Martig: Rezension zu: Furrer, Norbert: Schriftkunde und Textedition. Anleitung zum Umgang mit frühneuzeitlichen Manuskripten am Beispiel Berns. Zürich: Chronos 2016. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 3, 2016, S. 64-65.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 3, 2016, S. 64-65.

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